Meine Tage im offenen Vollzug
Vor knapp zehn Jahren tauschte Uli Hoeneß seine Villa in Bad Wiessee gegen eine Zelle in der JVA Landsberg. Am 06.04.2024 bezog ich meine „Zelle“ in Bad Wiessee gleich in der Nähe von der Villa von Uli Hoeneß. Wie Uli Hoeneß bekam auch ich schon nach kurzer Zeit Freigang, die ich neben dem Besuch eines Jazz-Konzertes in einem Gourmetrestaurant, dem Besuch einer Galerie, einer Sonderausstellung des Künstlers Gerhard Richter auch für Wanderungen in dieser reizvollen Gegend nutzte, die den prachtvollen Tegernsee mit einer atemberaubenden Berglandschaft umgarnt.
Bei einem Sonnenbad und einem Eiskaffee beobachtete ich die Verkehrssituation in Rottach-Egern. Bevorzugtes Vehikel scheint hier ein Fahrzeug der Marke Porsche zu sein. Gefühlt jedes Zweite. Einige und nicht wenige quetschten sich auch in ein Gefährt der Marke Ferrari oder Maserati, um dann in einem ganz persönlichen Stauerlebnis meist im Stillstand den Tegernsee und die umliegenden Berge zu begutachten.
Da gerade in dieser Zeit der 12. Internationale Schach-Senioren-Cup am Tegernsee stattfand, entschloss ich mich zur Teilnahme. Das Turnier war hervorragend organisiert. In über 40 Jahren Turniererfahrung habe ich es noch nicht erlebt, dass eine halbe Stunde vor Beginn der 1. Runde alle Paarungen auf großen Monitoren und zusätzlich als Aushang bereitstanden. Der Turniersaal war groß und geräumig und bot den 180 Teilnehmern aus 10 Ländern gute Spielbedingungen. Nach der Partie konnte man sich in einem großen Analyseraum mit Blick auf den Tegernsee („Deutschlands schönster Analyseraum“, so die Turnierleitung) die Partie mit seinem Gegner ansehen. Zu meiner großen Freude traf ich nach mehr als 30 Jahren auch meinen alten Mannschaftskollegen Jan Haserodt wieder, mit dem ich in meinen Eutiner Zeiten viele Mannschaftskämpfe bestritten und Duelle um die Vereinsmeisterschaft geliefert habe.
Ich ging mit Ranglistenplatz 65 in das Turnier. Nach einem erwartungsgemäßen Sieg in der 1. Runde, litt ich in Runde 2-4 unter einer Art Sekundenschlaf, die mir Niederlagen in Runde 2 und 4 einhandelten. Ich spielte gute Partien, hatte jedoch für einen Moment einen Aussetzer, die gleich spielentscheidend waren. Nach überzeugenden Siegen in Runde 5 und 6 war ich im Turnier angekommen. Nach einem Kurzremis in der 7. Runde bekam ich es in Runde 8 mit der Nr. 3 der Setzliste FM Cordts zu tun. Es war eine von uns beiden stark geführte Partie, in der wir auch in schwierigen Verwicklungen gute Züge fanden. In einem Endspiel mit Turm und Springer auf meiner Seite und Turm und Läufer bei meinem Gegner bei gleicher Baueranzahl investierte ich von meinen verbleibenden 35 Minuten ca. 15 Minuten um den richtigen Plan zu finden und fand ihn. Ich entschloss mich zu Ke6!, was einen Bauern anbot. Nach dem darauffolgenden Tb8! drohte ich ein Matt, dem mein Gegner nur durch ein Königszug entkommen konnte. Mit dem folgenden Tb2 hätte ich nun eine Remisschaukel erzwingen können. Es ist mir rätselhaft, warum ich nun mit dem passiven Tb7 fortsetzte, von dem richtigen Plan abwich und die schöne Partie dadurch verlor. Dennoch eine Partie, die viel Spaß gemacht hat. Die letzte Runde wollte ich unbedingt gewinnen, da ich in den vorangegangenen Turnieren in der letzten Runde meist mit einer Niederlage aus dem Turnier gegangen bin. Ich gewann mit einem positionellen Läuferopfer eine wiederum schöne Partie, so dass ich mit 5,5 Punkten Platz 34 erzielte und sogar noch einen Ratingpreis in der Kategorie A, Elozahl 1950 bis 2050, erzielen konnte. Das Turnier gewann der Wiener IM Schneider-Zinner mit 7,5 Punkten vor IM Heinbuch und FM Löw, jeweils 7 Punkte.
Nach 9 Tagen geht nun mein offener Vollzug zu Ende und ich werde wieder mein gewohntes Zuhause beziehen. Irgendwie war der Vollzug gar nicht so schlecht. Gerne wieder.
Unter dem Link Galerie Senioren Schach Cup – Senioren Schach Cup (schach-senioren-cup.de) findet ihr Bilder von dem Turnier und der Siegerehrung.